Wer Beteiligung will, muss Macht teilen
Dieser Beitrag ist am 7. Januar 2025 als Kommentar in Neue Lausitz erschienen.
Der Osten erlebt eine Krise in der Demokratie, weil über Jahrzehnte hinweg keine gute Beteiligungskultur entstehen konnte. Mit Strukturmitteln lässt sich das jetzt ändern, ist Sebastian Zoepp überzeugt.
Das Superwahljahr 2024 liegt hinter uns und die Ergebnisse der Landtagswahl und der Europawahl zeigen auch für die Lausitz eine klare Tendenz. Trotz Milliarden aus dem Strukturwandel kehren immer mehr Menschen den demokratischen Parteien den Rücken zu. In Politik und Gesellschaft herrscht entsprechend weitgehend Konsens: Unsere Demokratie steckt in der Krise.
Steckt deshalb auch die Bürgerbeteiligung in der Lausitz der Krise? Die Alltagserfahrungen aus meiner Arbeit lassen diesen Schluss durchaus zu. Kaum jemand hat noch Lust auf Beteiligung, weil kaum noch jemand an eine positive Änderung glaubt. Auch meine Kolleg*innen aus der Praxis würden sofort bestätigen, dass die Lausitz nicht das Mekka der Bürgerbeteiligung ist.
Falsch wäre jedoch zu behaupten, dass es Probleme mit der Beteiligung gibt, weil wir eine Krise der Demokratie haben. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wir haben im Osten eine Krise der Demokratie, weil über Jahrzehnte keine gute Beteiligungskultur etabliert wurde.

Keine Beteiligung gelernt
Wer in der DDR aufwuchs, lebte zwar offiziell in einem Staat, in dem das Volk regierte. So durfte auch ich mich bei Mai-Demonstrationen mit Winkelementen beteiligen, eine wirkliche Einflussnahme auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung gab es jedoch nicht. Denn, wie auch schon damals alle wussten: Nur die Partei hat immer recht!
Mit der Wiedervereinigung hätte eine Zeit der gelungenen Beteiligungskultur anbrechen können. Doch die Zeichen der Zeit standen nicht auf Mitbestimmung oder gar auf einer neuen Form der Selbstbestimmung, sondern auf Ausverkauf und Abwickeln. Damals gab es wohl kaum eine Familie, in der nicht irgendjemand kurzfristig vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Volkseigene Betriebe wurden von heute auf morgen geschlossen oder für wenig Geld verscherbelt, Tausende Menschen ohne Perspektive auf die Straße gesetzt. Die Treuhandanstalt organisierte den Ausverkauf des ehemaligen Volkseigentums, an dessen Ende es einen großen Verlierer gab: das Volk im Osten. Nur knapp fünf Prozent des ehemaligen Volkseigentums wurde an Ostdeutsche übertragen, 85 Prozent an Westdeutsche.
Auch private Grundstücke gingen in den Nachwendejahren zuhauf in westdeutsche Hände. Ich selbst durfte damals erleben, was „Rückgabe vor Entschädigung“ bedeutete. Wegen Rückforderungsansprüchen um das Grundstück meiner Eltern belastete ein jahrelanger Rechtsstreit mit einem Alteigentümer meine Familie. Wir hatten Glück und durften Haus und Hof behalten. Die Familie meiner damaligen Geschichtslehrerin verlor in einem vergleichbaren Prozess alles.
Kleine Dörfer strukturell benachteiligt
Auch die 2000er Jahre trugen wenig zu einem wachsenden Vertrauen in die Demokratie bei. Die Gemeindegebietsreform erschwerte im Jahr 2003 in Brandenburg den Menschen in ländlichen Räumen die Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Durch das Zusammenlegen von Gemeinden verlängerten sich die Amtswege. Auch das Vertreten lokaler Interessen innerhalb der Gemeinden wurde schwieriger. Bis zur Gebietsreform gab es auch in den kleineren Dörfern noch bezahlte Bürgermeister, die sich Dank eigener Budgetverantwortung direkt für die Menschen vor Ort einsetzen konnten. Seitdem müssen ehrenamtliche Ortsvorsteher*innen diese Aufgabe übernehmen. Oft stehen sie ohne eigenes Budget da und müssen sich auf schwierige Verteilungskämpfe in Anbetracht knapper Kassen einlassen. Bei so wenig finanziellem Spielraum können in mittleren und kleinen Kommunen viele Anliegen nicht gehört, geschweige denn angegangen werden.
Die negativen Erfahrungen der Nachwendejahre und die strukturelle Benachteiligung der ländlichen Räume und ihrer Kommunen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass wir auch heute noch keine gute Beteiligungskultur etabliert haben. Vielmehr sehen wir ein schwindendes Vertrauen in die Demokratie.
Kommunen brauchen Unterstützung
Wie lässt sich das Problem im Kontext des Strukturwandels in der Lausitz lösen? Die Antwort ist simpel und komplex zugleich: Wer Beteiligung will, muss Macht teilen und Kontrolle abgeben. Das bedeutet, dass überhaupt erst einmal der politische Wille da sein müsste, Beteiligung wirklich umsetzen und somit Entscheidungsmacht an Bürger*innen abzugeben. Mandatsträger*innen aller politischer Ebenen müssten sich dazu bekennen: Beteiligung ist weit mehr als nur die eigenen politischen Interessen zu legitimieren. Sie müssten das eigene politische Handeln viel stärker an den Interessen der Bürger*innen ausrichten. Und sie müssten das Geld und die Regelungen bereitstellen, die es dafür braucht.
Wenn dies gegeben ist, dann gibt es auch eine reelle Chance für gelingende Beteiligungsprozesse in der Lausitz. Denn die Menschen hier sind durchaus bereit, sich in die Entwicklungsprozesse ihrer Heimat einzubringen. Allerdings sollte es dann um Entscheidungen gehen, die sie wirklich beeinflussen können und für deren Umsetzung auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen.
Gute Beteiligungskultur beginnt in den Kommunen. Hier erleben die Menschen Demokratie im Alltag, hier spüren sie unmittelbar positiv wie auch negativ die Auswirkungen politischen Handelns. Um den Lausitzer Kommunen das Gestalten guter Beteiligungsprozesse zu ermöglichen, brauchen sie zusätzliches Personal und Mittel für Kompetenzpartner. Vor allem die mittleren und kleinen Kommunen würden davon stark profitieren, denn dort fehlt es an Personal und Kompetenzen, um gute Strukturwandelprojekte partizipativ zu entwickeln.
Im Rheinischen Revier wurden schon 2021 für vergleichbare Aufgaben rund 50 Strukturwandelmanager*innen den Kommunen und Kreisen zur Seite gestellt. Die Zukunftsagentur Rheinisches Revier unterstützt deren Arbeit durch Wissenstransfer, Qualifizierung und Vernetzung. Davon können wir in der Lausitz lernen. Interesse bei Lausitzer Kommunen gibt es schon und mit der Bürgerregion Lausitz gäbe es dafür auf Seiten der Zivilgesellschaft einen etablierten Partner. Dank des Strukturwandels haben wir auch noch die notwendigen Mittel, um solche Kooperationen einzuleiten. Ideen gibt es genug, doch die Zeit drängt. Nach den nächsten Wahlen könnte es – und nicht nur dafür – schon zu spät sein.
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